Das ALS-Drama von Gerwisch: Gefangener im eigenen Körper

Einheitsgemeinde Biederitz, den 09. 04. 2018

Im Biederitzer Gemeindeblatt erschien am 5. April eine Geschichte, die zu Herzen geht und tief berührt, weil wir selber alle so hilflos sind.
Es fiel schwer, den Artikel zu schreiben. Auch für die Ehefrau war es nicht einfach, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Aber: Wo Dunkel ist, gibt es immer auch Licht. In diesem Fall sind es die Freunde der Familie, die helfen wollen.
Mit Abstimmung der Familie veröffentlich ich heute hier auf Facebook den Bericht. Mit Grund, denn das Gmeindeblatt bittet Sie, diese Zeilen zu lesen – auch wenn der Bericht lang ist: Helft den Betroffenen. Mit Spenden und Ideen. Damit wir alle dazu beitragen, dass Solidarität und Unterstützung nicht nur leere Worte sind.

Die Redaktion des Biederitzer Gemeindeblattees

 

In 40 Jahren als Journalist – gleichgültig in welcher Position – erfährt und erlebt man unendlich viel. Mir ist es nicht anders gegangen: Gespräche mit Stars und Sternchen. Positive Reportagen und Geschichten über Menschen, die etwas Besonderes erlebt, erfahren oder getan hatten. Aber auch über tragische und traurige Ereignisse habe ich berichtet. Doch keine Geschichte, wie die, die ich Ihnen jetzt erzählen möchte, ist mir so zu Herzen gegangen und hat mich so tief bewegt – über so etwas Erschütterndes habe ich noch nie geschrieben.

Es geht um Maik Bethge aus Gerwisch, der am 17. April seinen 40. Geburtstag feiert.
Feiert ...?
Bis zum August 2012 schien in Maik Bethges Leben alles perfekt. Er betrieb in Biederitz eine kleine, aber sehr erfolgreiche Versicherungsagentur. Auch privat war alles in Ordnung: Glücklich verheiratet seit 15 Jahren mit Ivonne. Erst verband sie nur ihr gemeinsames Hobby, das Reiten, dann entwickelte sich aus der Freundschaft langsam die große Liebe: „Wir kannten uns schon als Teenager“, erinnert sich Ivonne Bethge, „trafen uns auf Partys in Gerwisch oder auf dem örtlichen Reiterhof. Später sind wir dann Mitglied beim Reitverein in Lostau geworden.“
2003 wurde geheiratet – eine zünftige Reiterhochzeit mit vielen Gästen aus der Umgebung. Ben (14) und Lina (9) kamen auf die Welt, das Glück von Ivonne und Maik war unendlich. „Wir haben unser Leben langsam, Schritt für Schritt aufgebaut“, erzählt Ivonne. „Ich hatte mit einer zweiten Ausbildung als Erzieherin begonnen. Wir wollten als nächstes ein Haus für unsere Familie bauen.“
Mit Freunden errichtete Maik zuerst eine Garage, die er in einen Partyraum verwandelte, um feiern zu können. „Hier haben wir uns oft getroffen“, erzählen die Freunde Mirko Elsner und Eick Lilpopp, die beim Gespräch dabei sind.
Sie erinnern sich an unbeschwerte Feiern oder sommerliche Grillabende auf dem Grundstück: „Maik konnte mitreißen und motivieren“, sagt Eick, „er strahlte Optimismus und Zuversicht aus.“ Ivonne ergänzt: „Im Partyraum wurde auch Bens 10. Geburtstag gefeiert.“ Das hatte der schwerkranke Maik seinem Sohn versprochen. Ivonne Bethge: „Es kamen sogar Helfer, die ich überhaupt nicht kannte. Das werde ich nie vergessen.“
Aber dann begann im August 2012 das unbeschreibliche Drama. „Mein Mann hatte unseren Kindern ein Baumhaus gebaut. Als er eines Tages auf die Leiter stieg, zerbrach eine Stufe und er fiel zu Boden ...“
Eigentlich nur ein kleiner Unfall. Für Maik aber hatte er schlimme Folgen. Er konnte nicht mehr richtig laufen, zog das Bein hinter sich her. Zwar wurde er in der Uniklinik Magdeburg auf den Kopf gestellt und gründlichst untersucht. Doch einen Befund gab es nicht.
Schock-Diagnose. Weitere, unzählige Untersuchungen folgten, zum Beispiel wurde mit einer Lumbalpunktion Nervenwasser aus dem Rückenmark gezogen. Doch erst ein weiteres EMG brachte den Durchbruch und ein Professor wagte eine Diagnose. „Zum ersten Mal wurde über ALS gesprochen“, sagt Ivonne Bethge.
Das war nicht nur ein unglaublicher Schock, sondern änderte alles.
Und damit ist wirklich alles gemeint – alles. Der Grund: Bei ALS kommt es unaufhaltsam zu einer fortschreitenden und nicht behandelbaren Schädigung der Nervenzellen, die für die Muskelbewegungen verantworlich sind. Aller 656 Muskeln. Prominentestes Beispiel ist der am 14. März mit 76 Jahren verstorbene, englische Astrophysiker Stephen Hawking, der mit 21 Jahren an ALS erkrankte.
Er konnte nicht mehr sprechen, war gelähmt und verbrachte sein Leben im Rollstuhl. Dennoch konnte er arbeiten, reisen, forschen und Bestseller veröffentlichen. Und als seine Stimme versagte, trat er über einen Sprachcomputer mit den Menschen in Kontakt.
Das ist bei Maik alles anders: Nur einen Monat nach Ausbruch der Krankheit musste er sich auf Krücken fortgewegen. Weihnachten saß er bereits im Rollstuhl. Trotzdem kämpfte Maik, nahm am Leben teil, kümmerte sich liebevoll um seine Kinder und seine Frau. Das Leben war anders geworden, aber Maik lebte.
Doch die Krankheit schritt unaufhaltsam voran: Maiks Muskeln wurden immer schwächer.
Ostern 2013 konnte der einst so kräftige Mann nur noch mit einem Strohhalm trinken, im August musste ein Sprachcomputer angeschafft werden.
Augenlider. Vergeblich, auch die Sprech-, Atem- und Schluckmuskeln erschlafften immer mehr: „Am Ende konnte Maik nur noch mit den Augenlidern kommunizieren“, berichtet Ivonne Bethge die Situation. „Wenn ich auf einer Tafel einen Buchstaben zeigte, blinzelte er einmal. War es der Falsche, zweimal.“
Deutlich ist zu spüren, wieviel Kraft es Ivonne Bethge kostet, alles noch einmal zu durchleben. Die Sorgen, die Ängste, die Verzweiflung.
„Wie viel Kraft muss diese Frau besitzen? Wie viel Stärke in sich tragen, um das alles zu bewältigen und gleichzeitig eine gute Mutter für Lina und Ben zu sein?“, denke ich während unseres Gesprächs.
„Konnte es noch schlimmer kommen?“
„Ja!“, ist die schlichte Antwort. Ivonne erzählt:
„2013 war schrecklich. Wir besuchten zahlreiche Ärzte, Heilpraktiker, Alternativmediziner und Kliniken in ganz Deutschland. Helfen konnte niemand. Jeder Strohhalm, an den wir uns klammerten, zerbrach.“
Ivonne musste ihre Ausbildung aufgeben.„Das war nicht mehr möglich. Mein Mann und die Kinder brauchten mich.“
Mitte des Jahres versagten Maiks Schluckmuskeln komplett, eine Magensonde wurde gelegt. Dabei kam es zu Komplikationen. Notoperation.
Dann wurde er in die Lungenklinik Lostau verlegt – Lungenentzündung. Künstliches Koma.
Wieder gab es dramatische Folgen. „Maik wusste, dass er nach dem Koma nicht mehr allein atmen kann. Doch dazu war er bereit, denn er wollte Leben“, erzählt Ivonne.
Seitdem hat eine Maschine für Maik das Atmen übernommen. Und Maik wurde endgültig zum hilflosen Gefangenen im eigenen Körper. Körperlich auf jegliche fremde Hilfe angewiesen. Geistig voll da, aber nicht mehr in der Lage, mit seiner Umwelt zu kommunizieren. Ein Leben ohne zu leben ...
Im Januar 2014 musste die Lungenklinik Maik Bethge entlassen. Eine Intensiv-Wohngemeinschaft in Magdeburg wurde vorgeschlagen. „Aber ich wollte, dass Maik bei seiner Familie ist und dort gepflegt wird“, sagt Ivonne. Das war unmöglich, denn die Wohnung hatte nur zwei Zimmer. Auch fehlten eine rollstuhlgerechte Treppe oder ein entsprechender Lift und ein behindertengerechtes Bad.
Also doch WG?
„Als ich erfuhr, dass mein Mann entlassen wird, habe ich versucht, in Gerwisch eine passende Wohnung zu finden“, erinnert sich Ivonne. Vergeblich. Nicht nur wegen der beiden Kinder. Vermieter schreckten zurück, als sie von der Krankheit des Ehemanns erfuhren. Auch in Magdeburg blieb die Suche erfolglos.
Also wurde Maik doch in eine Intensiv-WG verlegt?
„Aber das war nur vorübergehend“, erzählen seine Freunde Eick und Mirko, „denn wir hatten den Plan, den Partyraum in der Garage für Maik umzubauen, damit er in der Nähe seiner Frau und der Kinder sein konnte.“
Die Freunde hielten, was sie versprochen hatten. Nach und nach verwandelten sie die Garage – in ständiger Abstimmung mit dem Pflegedienst – in eine neue Heimat für Maik, während sich Ivonne um alle Formalitäten kümmerte.
Im Juli 2014 konnte Maik in sein neues Reich nahe der geliebten Familie einziehen.
Seitdem wird er hier rund um die Uhr von einem fünfköpfigen Pflegeteam betreut.
Ivonne, die dann doch eine kleine Wohnung in Gerwisch für sich und die Kinder fand, ist täglich bei ihm, ebenso die Kinder. Freunde schauen vorbei. Das gibt der jungen Frau Kraft und Stärke.
Die will sie auch haben. Für Maik, damit er trotz der schweren Krankheit optimal gepflegt und versorgt wird.
Für ihre Kinder. Ben besucht das Norbertusgymnasium in Magdeburg. Das kostet Geld – auch wenn das Schulgeld über das Einkommen berechnet wird. Bei Hartz IV sicher nicht viel, dennoch fehlen die Euros. „Früher gab es größere Geschenke für Lina und Ben, Maik verdiente doch gut.“ Ivonnes Stimme klingt weder neidisch noch ärgerlich, nur traurig. Unendlich traurig ...
Es ist zu spüren, dass Ivonne ihren Kindern eine gute Mutter ist, die um das Glück von Lina und Ben wie eine Löwin kämpft.
Ich frage mich, wie oft liegen bei ihr die Nerven blank und wie geht sie mit ihrer Verzweiflung und ihren Ängsten um?
Wie lebt Maik heute?
„Im Sommer wird Maik oft im Rollstuhl von den Pflegern oder von mir in den Garten geschoben. Er kann die Kinder beim Spielen beobachten oder Natur und Sonne genießen. Im Winter ist das unmöglich. Das Risiko einer Infektionsgefahr oder einer neuen Lungenentzündung ist zu hoch.“
„Ab und zu machen wir einen Ausflug“, erzählt Ivonne, „wir waren im Zoo Magdeburg, haben an seinen Geburtstagen Kutschfahrten unternommen.“
„Am Vatertag ist unsere Clique unterwegs. Da gehört ein Besuch bei Maik einfach dazu“, sagt Eick, „wir bringen ihm immer ein frisches Bier mit“, sagt er lächelnd. Natürlich wissen alle Freunde, dass Maik nicht mehr trinken kann, aber „ein kleiner Schluck durch die Magensonde oder etwas Bier auf die Lippen getupft... Wir fühlen, Maik genießt diese Momente.“ In diesen Momenten spüren sie alle, dass Maik leben will …
Gibt es Hoffnung?
„Mein Vater recherchiert im Internet alles über ALS, sucht nach neuen Forschungsergebnissen. Es gibt immer wieder kleine Lichtblicke. Aber Heilung? Das wissen wir nicht, geben die Hoffnung aber nicht auf“, sagt Ivonne Bethge leise.
Und fügt hinzu: „Maik will leben. Wir wollen, dass Maik weiterlebt und bei uns ist. Alles andere ist keine Option ...“
Knapp zwei Stunden hat das bewegende Gespräch mit Ivonne und Maiks Freunden gedauert. Berührende, traurige, extrem intensive, unvergessliche Minuten.
HELFEN SIE MAIK! Bevor ich gehe, erzählen mir Mirko und Eick von dem Plan, den die Clique sich zu Maiks 40. Geburtstag ausgedacht hat. Eine tolle Idee, für die aber auch Ihre Hilfe, liebe Leserinnen und Leser, benötigt wird.
Bitte lesen Sie deshalb unbedingt weiter und unterstützen Sie Maiks Freunde.

 

EIN GESCHENK FÜR MAIK

Am 17. April wird Maik Bethge 40 Jahre. Sein Leben ist zerstört, denn nichts wird mehr so, wie es einmal war. Aber auch im Leben seiner Familie ist alles anders: Ivonne Bethge kann nicht arbeiten gehen, denn sie muss sich um die Kinder und besonders um ihren Mann kümmern. Und sie muss alle Formalitäten erledigen: Abrechnungen, Anträge, Widersprüche, Eingaben. Nicht nur ab und zu, sondern ständig.
Mittlerweile lebt die Familie von Hartz IV, alle Reserven sind aufgebraucht. Aber die Kosten bleiben – seien es Anteile, die nicht von der Kasse bezahlt werden (zum Beispiel der Strom für ein zweites Atemgerät, das immer stand by geschaltet sein muss) oder anfallende Reparaturen. Damit nicht genug. Größtes Problem derzeit: Die Rechnung für eine vernünftige Heizung (vorher gab es nur Stromheizung ) ist noch nicht komplett bezahlt. Das Dach muss dringend gerichtet werden und die Außenwände gehören unbedingt verputzt und abgedichtet.
Hier kommt Maiks Clique ins Spiel: „Wir möchten Maik zum Geburtstag schenken, dass das alles gemacht und auch die Heizung bezahlt werden kann“, erzählen Mirko Elsner und Eick Lilpopp.


ABER DAS GELD FEHLT!
„Sicher, wir können viel selber machen. Doch das reicht nicht.“
Deshalb bittet Mirkos und Eicks Clique um Ihre Unterstützung. „Bitte helfen Sie uns und spenden Sie Geld, damit die Heizung bezahlt werden kann.“
Eine wirklich gute Idee, denn alles, was das Leben von Maik etwas angenehmer gestalten kann, ist eine große Hilfe. Dieser Hilfe haben sich bereits einige Personen angeschlossen. Landrat Steffen Burchhardt, Bürgermeister Kay Gericke und Ortsbürgermeisterin Karla Michalski stellen Geld bereit. Auch das Gemeindeblatt stiftet 100 Euro und bittet Sie, liebe Leserinnen und Leser, um Spenden.


WIE KÖNNEN SIE HELFEN?
Wenn Sie Spenden möchten, überweisen Sie bitte einen Betrag auf das Konto des Heimatvereins Gerwisch. Empfänger: Heimatverein Gerwisch e.V., IBAN-Nummer:
DE 83 8105 4000 0640 0041 72
BIC:
NOLADE21JEL
Stichwort: Wir wollen helfen!
Darüber hinaus werden in den nächsten Tagen von Maiks Freunden Spendenschweinchen aufgestellt, wo Sie ebenfalls spenden können. Bis Redaktionsschluss hatten die Drogerie Pütsch in Biederitz die Gaststätten „Zur Alten Wache“ und „Kombüse unterm Leuchtturm“ in Gerwisch zugesagt. Auch in den Friseursalons Dynamik in Biedritz und Heyrothsberge und Deja Vu in Biederitz stehen die Hilfe-Schweinchen. In der Sekundarschule Möser haben die Scgüler ein Sparschwein aufgestellt. Weitere werden folgen.
Auch beim Gemeindeblatt können Sie Ihre Spende abgeben: Briefumschlag mit dem Stichwort in den Briefkasten, A&T Pressebüro, Gerwischer Straße 1b in Biederitz einwerfen. Die Umschläge werden ungeöffnet weiter an den Heimatverein geleitet.

Das Gemeindeblatt bedankt sich schon jetzt bei allen Unterstützern dieser Aktion und hofft, dass wir alle zusammen Maik ein klein bisschen unterstützen können.